1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

23.02.21, 12:00
Sabine Polster
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Erzbistum Köln. 2021 ist ein besonderes Jahr: vor 1700 Jahren wurde zum ersten Mal eine jüdische Gemeinde in Deutschland urkundlich erwähnt, nämlich im Jahr 321 in Köln. Zu diesem Anlass wurde das bundesweite Festjahr „#2021 jüdisches Leben in Deutschland“ ausgerufen. Auch die katholische Kirche nimmt dies zum Anlass, aktuelles jüdisches Leben in Deutschland ins Bewusstsein zu rufen und sich ihrer jüdischen Wurzeln und Bezüge klarer zu werden.

Im Rahmen des Festjahrs ist die Mitmach-Kampagne „#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst“ ins Leben gerufen worden. Sie wird von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) unterstützt. Sie möchte in zwölf Monats-Plakaten Verbindendes zwischen Judentum und Christentum aufzeigen und Unterschiede benennen. Auch der Zentralrat der Juden, die Orthodoxe Rabbinerkonferenz (ORD) und die Allgemeine Rabbinerkonferenz (ARK) beteiligen sich an der Kampagne.

 

Wir trinken auf das Leben: Purim beziehungsweise Karneval.

Purim feiert die Rettung des jüdischen Volkes vor der Vernichtung durch ein staatlich organisiertes Pogrom. Im Karneval werden herrschende Verhältnisse auf den Kopf gestellt, bis am Aschermittwoch die Fastenzeit beginnt. Auf das Leben – L’Chaim, Helau und Prost!

 

Eine jüdische Stimme
Kleine und große Clowns, Ritter, Prinzessinnen, Monster, Hexen, Zebras, Hasen und andere phantasievoll gekleidete Gestalten haben sich in der Synagoge versammelt, machen Krach mit Hilfe von Rasseln, trampeln mit den Füßen, pfeifen und bringen „Buh“-Rufe aus. Und all das bei der Verlesung eines biblischen Buches?? Purim ist das Lieblingsfest jüdischer Kinder, denn sie dürfen sich nach Herzenslust verkleiden und brauchen nicht still sitzen, weil der Lärm sogar Teil der Liturgie ist. Wann immer der Übeltäter Haman genannt wird, bricht ein enormer Krach aus, um dessen Namen auszulöschen.
Das Hören der Esther-Geschichte ist das wichtigste Gebot des Festes. Daneben ist es üblich, einander Süßigkeiten und selbst zubereitete Speisen zu schenken. Das typische Gebäck für Purim sind die „Haman-Taschen“ oder „Haman-Ohren“, dreieckige, mit Mohn, Datteln oder Marmelade gefüllte Kekse. Bedürftige Menschen werden mit Lebensmitteln oder mit Geld bedacht, damit auch sie sich Festmahlzeiten leisten können. Und warum heißt es „Esther-Rolle“? Weil der Text des Esther-Buchs aus einer auf Pergament handgeschriebenen Rolle (Megillah), ähnlich einer Torah-Rolle, vorgetragen wird.
Rabbinerin Dr.in Ulrike Offenberg

 

Eine christliche Stimme
Prächtige Prinzenwagen von Düsseldorf bis Mainz, spärlich bekleidete sambatanzende junge Frauen in Rio, vornehme Masken in Venedig, urtümliches Geistertreiben in Rottweil und Luzern – das sind Bilder, die beim Stichwort „Karneval“ aufsteigen. Dass „Karneval“ ursprünglich die Tage vor dem Beginn der vorösterlichen Fastenzeit im Christentum bezeichnet, ist heute wohl zunehmend weniger bewusst. Traditionell verzichteten Christen und Christinnen in den vierzig Tagen vor Ostern auf den Verzehr von Fleisch und schränkten auch sonst ihr Leben ein. An Karneval sagte man „dem Fleisch Lebwohl“ („carne vale“).
Hier durfte aber auch die Welt auf den Kopf gestellt werden. Spott auf die Herrschenden, Tanz, fette Speisen und ausgiebiger Alkoholkonsum gehörten dazu. Bezeichnungen wie das rheinische „Fastelovend“ („Fast-Abend“) oder „Fastnacht“ erinnern daran, dass Karneval eine Art Schwelle oder Übergang darstellt zwischen dem Leben im Alltag und der Zeit der Vorbereitung auf das Fest der Auferstehung Christi. Die „tollen Tage“ bergen aber auch ein utopisches Moment: dass das Leben mit seinen oft harten Begrenzungen und Ungerechtigkeiten nicht alles ist…
Marie-Theres Wacker